Völkerrechtliche Stellung
Rechtliche Grundlage der Europäischen Union sind derzeit zwei
völkerrechtliche Verträge, die die
EU-Mitgliedstaaten miteinander geschlossen haben: der
Vertrag über die Europäische Union (EUV), der 1992 in Maastricht
geschlossen wurde, und der
Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), der
1957 in Rom als
EWG-Vertrag geschlossen, 1992 in
EG-Vertrag umbenannt wurde und 2007 seinen heutigen Namen
erhielt.
Mit diesen Verträgen vereinbarten die Mitgliedstaaten, die EU zu
schaffen, ihr eine Rechtspersönlichkeit (Art. 47
EUV) zu geben und ihren Organen bestimmte
Hoheitsrechte und
Gesetzgebungskompetenzen zu übertragen. Man bezeichnet sie
deshalb als „europäisches
Primärrecht“. Das gesamte „Sekundärrecht“,
das die EU selbst gemäß ihren eigenen Rechtsetzungsverfahren erlässt,
ist aus diesen Verträgen und den darin genannten Kompetenzen
abgeleitet. Dass die EU somit selbstständig Gesetze erlassen kann,
die für ihre Mitgliedstaaten bindend sind, unterscheidet sie von
anderen internationalen Organisationen. Als Völkerrechtssubjekt mit eigener Rechtspersönlichkeit
kann sie
auch selbst Verträge mit anderen Staaten abschließen und Mitglied
einer
internationalen Organisation sein. Sie ist also kein
Staatenbund im klassischen Sinn.
Um den Inhalt der EU-Gründungsverträge zu verändern, müssen die
Mitgliedstaaten neue völkerrechtliche Verträge, sogenannte
Änderungsverträge, abschließen. Dies geschah bisher 1997 durch den
Vertrag von Amsterdam, 2001 durch den
Vertrag von
Nizza und zuletzt 2007 durch den
Vertrag von Lissabon, der zum 1. Dezember 2009 in Kraft trat.
Anders als ein
Bundesstaat kann die Europäische Union die Zuständigkeiten in
ihrem politischen System also nicht selbst verteilen: Die
Kompetenz-Kompetenz liegt nicht bei den EU-Organen selbst,
sondern bei den Mitgliedstaaten. Dies ist auch der Grund, warum die
EU zwar staatliche Funktionen erfüllt, bisher aber nicht als
souveräner Staat gilt: Sie ist kein „originäres“, sondern ein
abgeleitetes, ein sogenanntes „derivatives Völkerrechtssubjekt“.
Andererseits besitzen auch die einzelnen Mitgliedstaaten der EU
keine vollständige Kompetenz-Kompetenz mehr, da sie die
Hoheitsrechte, die der EU übertragen wurden, nicht mehr allein auf
die nationale Ebene zurückholen können – sondern nur durch eine
Vertragsänderung in Übereinklang mit den anderen Mitgliedstaaten. Um
diese besondere Bedeutung der EU-Gründungsverträge zu unterstreichen,
wird deshalb bisweilen auch der Begriff eines „europäischen
Verfassungsrechts“ gebraucht. Allerdings hat jeder Mitgliedstaat
nach
Art. 50 EUV die Möglichkeit, aus der Union auszutreten,
und ist insofern weiterhin souverän.
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